1/11/2010

Die Nerd-Brille


Schon seit einiger Zeit sieht man in den Fußgänger-Zonen deutscher Großstädte junge bis mittelalte Nerds...
Oder zumindest Menschen, die sich des ultimativen Stil-Mittels des Nerds bedienen. Wie kam es, dass Brillen, wie die Wayfarer von Ray-Ban, einen Trend auslösten, der nur mit Mut zur Hässlichkeit zu beschreiben ist und gleichzeitig intellektuell so aufwertend wirkt???

Anfang der 60er Jahre trug die junge Audrey Hepburn in "Breakfast at Tiffany's" die Wayfarer mit einer unerreichten Grandezza. Das Brillenungetüm im Gesicht der zierlichen Hepburn wirkte nicht ausschließlich deplatziert, sondern mindestens genauso auf umwerfende Art und Weise ihrer Zeit voraus.
Nach Hepburn trugen nicht weniger bedeutende Persönlichkeiten der Zeitgeschichte die Wayfarer als Ausdruck eines massenfähigen Individualismus. John Lennon, Bob Dylan, Andy Warhol und John F. Kennedy folgten dem Ruf der zum Kultobjekt avancierten Plastikbrille.
Die Brille kam und ging...Anfang der 80er Jahre erlebte sie ihren letzten großen Hype als die Blues Brothers sie im musizierenden Gesicht trugen.
Einige Trend-resistente Urgesteine, wie Woody Allen und nicht wenige Intellektuelle der Literatur- und Kunstszene blieben der Wayfarer trotz ihres abebbenden Erfolgs und ihrer schwindenden Beliebtheit treu.

Wie kam es also zu der heutigen Omnipräsenz des schwarzen Gestells mit dem metallenen Schriftzug am Bügel? Und wie soll man das finden, wenn mittlerweile eine Art Uniform aus verwaschener Röhrenjeans, American Apparel-Shirt, Chucks und Cardigan die Wayfarer zu einem Accessoire macht, an dem man sich satt zu sehen droht?

Während junge Großstädter sich an ihren Britischen Vorbildern orientieren und Wayfarer-ähnliche Modelle im Discounter-Mode-Shop kaufen, bleibt dem Original sein Hauch von Nostalgie, Individualismus und Nerdtum erhalten?

Schafft es die Wayfarer, trotz modischer Ausfälle kommerziell orientierter Ray-Ban-Designer, an Blasphemie grenzender neon-gefärbter Gestelle des Kult-Klassikers, ihren Trägern den Hauch von Stilbewusstsein und Weltgewandtheit zu erhalten und nicht abzurutschen und als ein Fußgängerzonen und, schlimmer noch, Randzonen-Phänomen zu verkommen?

Ja, denn es kommt nun mal nicht darauf an, Plastikgestelle mit Fensterglas auszustatten, The Killers zu hören und die Haare gewollt zerzaust im Gesicht zu tragen. Langfristig wird doch das siegen, was Beständigkeit und die Grandezza einer Hepburn verspricht. Und das hört zwar manchmal auch The Killers, weiß aber die Bestimmung von Fensterglas zu schätzen und raucht die Selbstgedrehte nicht an der Mall in Oberhausen, sondern im Literatur-Café an der Rue Saint-Augustin im zeitlosen Paris.


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